Gedanken über...

Die Synästhesie des Animismus. (2018)

 

Überall auf der Welt gibt es Jäger- und Sammlergesellschaften wie die der Aborigines, Mbowamb, Chewong, Chuuk, Campa oder Inuit, welche ohne das Wissen über Atome oder reduktiv-physikalische Theorien leben. Sie haben ganz eigene Antworten und Erklärungen auf gewöhnliche und ungewöhnliche Ereignisse, bspw. wie Leben und Tod zu Stande kommt; warum Glas zerspringt. Zusammenhänge begründen sie nach animistischer Weltvorstellung, mit denen sich Wissenschaftler auf der ganzen Welt beschäftigen. Doch die Theorien und Interpretationsversuche über sie gehen so weit auseinander, dass klar wird, Animismus ist ein komplexes Kultursystem, welches gelebt werden muss um es zu begreifen.

Viele Missionare lernten die Sprachen der Siedlungen, versuchten wie Naturvölker zu sehen und zu denken um eine Vorstellung zu bekommen, wie es ist von einer Vielzahl geistiger Wesen umgeben zu sein. Animismus gibt es als häufigste Variante mit der Vorstellung der Reinkarnation und der Verehrung der Ahnen. Animisten sehen den Menschen als lebendes geistiges Wesen mit Körperform, Verstorbene sind ebenso lebende, geistige Wesen aber ohne Körperform. Werden sie zu Ahnengeistern, bewegen sie sich wie zu ihren Lebzeiten und gehören zu der lebenden Gesellschaft dazu. Tiere und Pflanzen sind auch lebende, geistige Wesen mit Körper. Oder anders: Alle geistigen Wesen ohne Körper dringen in Menschen, Tiere, Pflanzen und alle anderen leblosen Dinge ein um zu handeln. Es gibt gute und bösartige geistige Wesen, mächtige und weniger bedeutsame. Im Zentrum steht der Mensch als körperlicher Behälter seiner unsterblichen Geistseele, die seine Persönlichkeit nach dem körperlichen Tod fortsetzt. Im Prinzip verstehen Animisten Leben als Dualismus des Mentalen und des Somatischen. Auch schon Descartes hielt es für vorstellbar, dass der Geist auch ohne Körper existieren kann und Körper ohne Geisteskraft.

Der Kosmos ist von schichtartigen Sphären durchzogen, in denen alle Geistseelen leben, die wie Autoritäten auf die Menschen wirken. Verschiedene Mythensagen sprechen dem Donner, dem Meer, dem Land, dem Wind, dem Mond, dem Wetter und anderem die größten Kräfte zu. Eine Ur-Schlange lebt unter der Erde. Diese Geistwesen beeinflussen die Vorkommnisse der Menschen, haben Persönlichkeit, Handlungsfähigkeit und Wille, um den die Menschen ringen. Animisten gehen mit allem eine geistige Beziehung ein (1) , so dass die Ernte ertragreich, die Kinder gesund und der Stamm angesehen bleibt. Mit Dämonen, mit Totengeistern, mit Ahnengeistern, mit guten Geisterseelen und natürlich mit den höchsten Wesenheiten, die sie richten und ganze Gegenden be- strafen, wenn sich ihnen wiedersetzt wird. Es gibt kosmische Regeln und Tabus, die das Zusammenleben und Verhalten mit Wesenheiten, Ahnen und Menschen betrifft, welche Gerechtigkeit, Ethik und Freiheiten definieren. Medizinmänner, Schamanen, Medien oder die Weisen und Ältesten sind Vermittler und Übersetzer der geistigen Exekutoren. So ergibt sich, bei einem plötzlichen Todesfall, dass der Wunsch der Höheren Wesen analysiert wird und nicht die Todesursache. Wird jemand von einem Tier angefallen, ist der Grund das Fehlverhalten eines Menschen der Familie, Gemeinschaft oder Region, was nun, durch das Tier gelenkt, durch den geistigen Besitzer der Ressource, bestraft wird. Ganz nach Tradition des Stammes kann es zu blutigen und für „westliche Logik“ unverständlichen aber typisch animistischen Begründungen und Ursachen kommen. Wissenschaftler wie Edward B. Tylor, Lucien Lévy-Bruhl und Jean Piaget stellten ihre Theorien darüber auf, was Naturvölker zu ihren Denk-Handlungen, der „falscher Kausalität“, Reinkarnation und Geisterglaube ermutigt.

 

Animismus (lat. animus „Wind“, „Hauch“) bedeutet dem „Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache“ nach, „ein Glaube, dass die Dinge der Natur beseelt oder Wohnsitz von Geistern ist“. Diese Art von Definition ist heute verbreitet und leider stark verein- facht. Vielmehr sollte Animismus als Ontologie, eine Art von Struktur des Subjekts, des Seienden begriffen werden, die einen Denk- und Empfindungsrahmen der Wirklichkeit schafft. Die Allem, mit dem sie sich auseinander setzt, das Potenzial zuschreibt mehr oder weniger lebendig zu machen.

Das, die erste Version in den Lexika bestehen bleibt, verdanken wir dem Erfinder des Animismus-Begriffs im religionsethnologischen Zusammenhang, dem britischen Anthropologen Edward B. Tylor (1832-1917). Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert der Entwicklungstheorien und so beabsichtigte Tylor die mythologischen Anfänge der Menschheit zu untersuchen und religiöses Bewusstsein als angeborene menschliche Eigenschaft, die eine Entwicklung durchmachte, darzulegen. Die Vergötterung der Na- tur, der Animismus der Aborigines, galt für Tylor als Grundlage der Religionsphilosophie, aus der jeder andere Glaube der Weltreligionen erwuchs. In, „Primitive Culture - Die Anfänge der Kultur: Untersuchungen über die Entwicklung der Mythologie, Philosophie, Religion, Kunst und Sitte“, 1873, definierte er Animismus, als allgemeine Lehre der geistigen Wesenheiten, genauer sogar, als die tief liegende Lehre von den spirituellen Wesen, die den Gegensatz zur materialistischen Philosophie verkörpern. Die Vorstellung einer Seele ist nach Tylor der erste Schritt auf dem Weg zur Religion und schien Grund genug, mit Hilfe von Berichten der reisenden Natur- und Völkerkundler, die Welt der Animisten als „Religion der niederen Rasse“ zu betiteln.

Nebenbei bemerkt sind Texte solcher Autoren wie Tylor, trotz interessanter Thesen, schwer auszuhalten, weil sie auf Formulierungen der Kolonialzeit zurückgreifen, die menschenunwürdig sind.

Eine Religion ist Animismus nicht. Animismus ist an keine Institution gebunden, die eine Denkrichtung oder bestimmten Glauben predigt. Glaube ist es auch nicht, weil das Weltbild der Animisten für sie erklärbar und ihr Geist-Erleben erlebbare Wahrheit ist.

 

Der französische Philosoph Lucien Lévy-Bruhl (1857-1939) fällt in ähnliche Kategorie wie Tylor und schickte viele Leser seiner Schriften mit „Die geistige Welt der Primitiven“ auf die Reise anzunehmen, Naturvölker wären, wieder ganz der Darwin’schen Theorie der Entwicklungsstadien nach, zurückgebliebene Menschen. Primitiv ohne städtische Kultur, ohne die Moderne, ohne zivilisiert zu sein, ohne ein logisches Denken wie es „der fortschrittliche Westen“ hatte. Nicht wenige Autoren greifen trotz dieser typisch kolonialen Denk- und Sprechweise, auf Lévy-Bruhl als Basisliteratur zu ethnologischen und animistischen Themen zurück. Seine Überlegungen, das Denksystem der Animisten zu entschlüsseln, werden vielfach aufgegriffen, als dass den semantischen Zeichen der Zeit nachgehangen wird. Es ist klar, dass Semantik durchaus bewusst verwendet wird, vor Allem von Autoren, die des Formulierens mächtig sind. Doch Lévy-Bruhl war als Forscher im Größten daran interessiert, neue Weltbilder zu verstehen und nicht menschenfeindliche Gedanken zu verbreiten. Demzufolge schlage ich mich auf die Seite von Lévy-Bruhl und appelliere gleichzeitig, dass jegliche Gedanken einer Herabschau auf andere Menschen inakzeptabel und hier nicht zu finden sind. Mit Lévy-Bruhls Worten, sind Gedankengänge der Animisten, dadurch schwer nach- vollziehbar, weil sie von einem Menschen mit naturalistisch geprägtem Weltverständnis schwer gedacht werden kann. Die „Prä-Logik der Animisten“ wie es Lévy-Bruhl makaber ausdrückt, ist insofern mit „sinnlicher Logik“ oder „Mehrlogik“ zu ersetzen. Animismus ist ein Gesellschaftstyp, der durch Projektionen der sozialen Wirklichkeit dessen Gegenstände, Wesen, Erscheinungen auf besondere Weise sie selbst und zugleich etwas anderes als sie selbst sind, stabil und logisch ist. Heißt: Die Frau erkennt in dem Neugeborenen die verstorbene Großmutter. Dann ist das wahr. Der Mann erfährt Rache vom Schutzgeist des Waldes. Dann ist das ebenso logisch und hat 100%igen Wahrheitsgehalt in ihrem Gedankengebäude. Ihr Sinneseindruck, ihre Erfahrung und die Wiederholbarkeit der Ereignisse liefert ihnen ebenso ihre Wahrheit wie den Atomisten die ihre. Nicht zuletzt bestätigt das Kollektiv, die Sprachgemeinschaft die Wahrheitsfindung.

 

Nach Marshall Sahlins, einem zeitgenössischen amerikanischen Anthropologen der Gegenwart leben Animisten nicht anders als mit einem kosmischen Staatswesen zur Organisation der Güter und Einhaltung der moralischen Richtlinien. Geisterwesen stellen Autoritäten, Verwaltungen, Bürgervertreter, Gemeindeleiter und Familienratgeber dar, so Sahlins in „The original political society“, einem Artikel des Journal of Ethnographic Theory, von 2017.

Die Überzeugung über eine hierarchische, geistige Gesellschaft, ewigen Geisterseelen und Wiedergeburt bedeutet erstens, dass jeder und alles Lebende ein Verwandter sein kann, der mich unterstützen oder quälen könnte und zweitens, dass es eine Art Moralleiter gibt, an der es empor zu klettern gilt. Nicht jeder Verstorbene wird ein Ahnengeist oder gutes Geistwesen. Dazu gehört ethisch vorbildliches Verhalten zu Lebzeiten, ein bestimmtes Ansehen, oder sozialer Status, was mit Reichtum einhergeht. Das wiederum spornt an, sich in der Gesellschaft zu engagieren, denn mit Ahnengeistern in Kontakt zu stehen oder einer zu werden hat ehrenvolle Vorteile für alle Verwandten. Ahnen können höhere Geisterseelen stärker beeinflussen als lebende Menschen auf der Erde, haben einen größeren Handlungsspielraum und können sich für die Gegend einsetzen und besser um Ressourcen verhandeln. Sie sind begünstigt vom Glück, vom Reichtum, von Macht und Fruchtbarkeit. Sie sind „näher dran“. Die Lebenden sorgen dafür, dass Ahnengeister alles haben, was sie sich wünschen um freundlich gestimmt zu sein. Dazu werden Geschenke verbrannt oder „vergeistigt“ und Rituale, Feste und bestimmte Zeremonien abgehalten. Im Gegenzug erhalten die Menschen auf der Erde ungewöhnlich glückliche Vorkommnisse. Bestimmte Orte und Schreine so groß wie Häuser sind Pilgerstätten, die sich besonders eignen für die Kommunikation nach „oben“. Hier kommt die ganze Nachbarschaft zusammen.

Animismus mit Ahnenverehrung und dem Reinkarnationsglauben tragen zu einer Sozialstruktur bei, was die Menschen verantwortungsbewusst und gemeinschaftsorientiert handeln lässt.

Reinkarnation erscheint als eine Art Wiedererkennung der guten Art des Großvaters oder der Schönheit der Großmutter, als Beweis und selbsterfüllende Prophezeiung Gutes zu wiederholen und den Status aufrecht zu erhalten um Ansehen zu legitimieren. Mit der Geburt eines Menschen hat dieser die Ahnengeschichte in sich und vor sich, in Zukunft. Und wenn die Ähnlichkeit nicht sofort nach der Geburt erkannt wird, dann im Laufe der Zeit. Und nicht nur das. Wiedergeburt beantwortet die bedrückendsten phänomenologischen Fragen, nämlich, die nach dem Sinn des Lebens und des Todes. Nämlich, Verantwortung und Fortführen des Ahnenzweigs Dank der Erinnerung. Die eigene Existenz bekommt die selbstverständliche Aufgabe sich „dem großen Ganzen“ zuzuwenden. Sich im Außen zu sehen. Innenschau des Individuum wird überflüssig, zumindest philosophisch-theologisch gesehen, denn nach innen schauen Animisten nicht, sie spüren.

 

Nurit Bird-David, Anthropologin aus Jerusalem, erklärt Animismus zur Beziehungs- form. Sie schreibt in ihrem Aufsatz „Animism Revisited: Personhood, Enviroment, and Relatied Epistemology“ von 1999, dass Verwandtschaft bei Animisten nicht über Blutsverwandtschaft definiert wird, sondern über die sozialen Handlungen. Verwandt sind Animisten also mit denen sie kommunizieren, täglich essen oder arbeiten. So öffnet sich der Rahmen der Abstammung deutlich und verbindet möglicherweise die engste Nachbarschaft miteinander aber auch geistige körperlose Wesen mit den Menschen. Denn diese sind um einen Menschen stetig herum, mit denen wird am meisten kommuniziert, an die wird möglicherweise am meisten gedacht. Das macht Beziehungen aus und das löst soziales Handeln aus. Beziehungen sind gedankliches Beschäftigen durch Handlungen veranlasst, und Beziehungen sind durch Emotionen zu unterscheiden. Den einen liebt man und denkt an ihn, den anderen hasst man und denkt auch an ihn, gute Geister und bösartige Gedanken, Formen von Beziehung. Denken ohne Emotionen, einfache Kausalitäten, gibt es somit nicht. Das Glas fiel nicht herunter und zersprang, weil es die Schwerkraft durch menschliche Ungeschicktheit zur Erdmitte zog. Nein, das Glas zersprang, weil der Nachbar einen bösartigen Geist geschickt hat, der in mich fuhr. Das Glas selbst könnte ein Geistwesen besessen haben, wenn es die Haut zerschnitt. Somit wäre aufzuklären ob der Nachbar, gedanklich dem Glas diese Macht zudachte, weil seine Ernte trotz gleicher Wetterverhältnisse immer schlechter ausfiel. Das Trinkgefäß ist somit lebendig und zeigt Handlungswillen, wie alles andere auch das Potenzial dazu besitzt. Es muss mit Aufmerksamkeit, Wunsch und Wille „betankt“ werden. So verschwimmen die Grenzen zwischen lebendig und nicht lebendig. Dämonisierung ist ganz normal. Jede Rechtsprechung der Animisten geht davon aus.

Zeit für Psychiatrie?

Solche außergewöhnlichen Erfahrungen sind der blinde Fleck der westlichen Psychologie. Hier gelten Themen wie magisches Denken, Besessenheit, Wahrnehmungsphänomene als tabuisiert und krankhaft oder werden als Okkultismus und Esoterik verkannt. So ist das auch ein Grund, weshalb Animismus schwer von der westlichen Welt verstanden wird. Das Kollektiv lässt keine spirituellen Wirklichkeiten in die starre, naturwissenschaftlich erklärte Welt eindringen. Vieles, beginnend mit dem Atomkern könnte - stellte sich heraus, dass ein animistisches Weltverständnis viel realistischer wäre - in Frage gestellt werden. Also: Querdenken nur mäßig, Grenzgänger nicht erwünscht. Tabubrecher sind krank!

 

Jean Piaget, (1896-1980) Biologe und Entwicklungspsychologe gern Problemen zum Thema Geisterglaube herangezogen, würde dazu sagen: Er ist gebunden an die präoperative Phase des Kindes. Mit dem Vorschulalter gesteht das Kind Dingen auch ohne ihre Existenz ein Dasein zu, imaginäre Freunde tauchen auf oder die Puppe wird lebendig. Animisten eine kindliche Denkweise zuzuschreiben war gebräuchlich. Doch ich kann mir kaum vorstellen, dass eine egalitäre Gemeinschaft, mitten im Dschungel überlebend, zurückgeblieben oder kindlich ist. Ihr soziales Netzwerk bis in den Kosmos hinein, ohne einen Gott und ohne einen Herrscher, verlangt hochkomplexe emotionale Analysen über das Selbst und die Umwelt. Sie sind sich der Verbindungen, Bedingungen und natürlicher Kreisläufe bewusst und sehen in allem einen Teil von sich selbst, so dass friedliches Miteinander in großer Gruppe möglich ist. Empathie, Mitgefühl, Gerechtigkeitssinn, Verantwortungsbewusstsein, Spiritualität, und Hochsensibilität werden hier verlangt.

 

Der Mensch passt sich der Umwelt an. Der sensible Mensch verhält sich in gesellschaftlichen Kreisen trotz stabiler Persönlichkeit verschieden. Seine Haltung, seine Werte, seine Offenheit, seine Stimmung passen sich der Umgebung an. So ist es auch mit den Stimmungen in Bezug auf einen Menschen oder ein Tier. Die innere Stimmung passt sich dem anderen an, stellt sich auf den anderen ein, damit eine friedvolle, konstruktive Beziehung entsteht. Ein Hineinspüren in diese Stimmungs-Unterschiede könnte die Basis des Animisten sein. Sie wären wie ein Radio mit verschiedenen Reglern, die je nach Frequenz umgestellt werden müssen, um die Informationen zu empfangen. Naturvölker wären dann also einem Medium gleich, was sich auf die Kanäle der Natur einstellt. Jede Abweichung von ihrer Mitte schlägt aus und hinterlässt einen eigenen Fingerabdruck. So identifizieren sie, erkennen, wissen sie, ohne offensichtliche Eigenschaften Informationen über eine Person, die eine geistige Wesenheit, eine Schwingung ist. Ähnliche Beschreibungen des Selbstempfinden und der Umwelt äußern HSP, highly sensitive persons.

Die US-amerikanische Psychologin und Pionierin der Sensitivitätsforschung Elaine Aron hat den Begriff in ihren Buch „The Highly Sensitive Person: How to Thrive When the World Overwhelms You“, 1996, weltweit etabliert. Highly sensitive persons oder hochsensible Menschen sind nach ihrer 1995 durchgeführten Umfrage 20% der Menschen. Sie sind mit einem äußerst feinsinnigen, feinfühligen, feinsensorisch, empathischen, wahrnehmungs- und sensorisch-begabten Temperament ausgestattet. Aron entdeckte bei über hundert Spezien unter Anderem auch bei Primaten, zwei Wesensarten. Eines mit einer „aufmerksamen, gestressten“ Lebensweise und eine, mit einer „zurückgelehnten, mutigen“ Strategie, Energie einzusetzen oder diese zu sparen. Sie begründeten es so, dass, wären alle gleich mutig, würden Weges-Abkürzungen nicht er- schlossen und Besonderheiten nicht gewürdigt. Es hat nichts mit dumm oder clever zu tun, krank oder gesund, sondern mit Empfänglichkeit. HSP besitzen einen gesteigerten Sinn für vielfältige Informationen, Details in sozialem Umgang, komplexe Moralfragen, Vorsichtsmaßnahmen, Kreativität um Probleme zu lösen, Ästhetik und Spiritualität um sich zu erholen. Sie wirken zögerlich und introvertiert. Doch das ist ein Missverständnis. Sie sind Analytiker und brauchen mehr Zeit, weil sie mehr Informationen auszuwerten haben. Bei den Primaten zeigte sich, dass den Aufmerksamen öfter Kinder anvertraut wurden, als den Mutigen. Sie schienen das Überleben besser zu sichern.

Die Ausprägung der Hochsensibilität ist ganz vom sozialen Umfeld abhängig. Ob das menschliche Wesen diese sensitiven Talente ausbildet, hängt von der Unterstützung ab. Demzufolge könnte es sein, dass die westliche Welt eben genau das nicht getan hat und nun erstaunt darüber ist, welche Fähigkeiten Naturvölker besitzen. Sie scheinen sich darauf ausgerichtet zu haben, denn ihre Sinne waren ihre Werkzeuge um zu überleben. Sehen, Hören, Tasten, Schmecken, Riechen und eben den sogenannten sechsten Sinn das Fühlen oder das Wahrnehmen fürs Zwischenmenschliche, dem sich mit der Welt in Beziehung setzen, zu fördern.

HSP fallen dadurch auf, dass sie nicht nur sich, das Individuum wahrnehmen, sondern ihre Umwelt gleichsam. Sie haben unter elektromagnetischer Resonanz mehr Spiegelneuronen, erkennen sich in dem Gegenüber schneller. Nur durch ein Bild eines Laufenden werden Bereiche der Motorik stimuliert, als laufen sie selbst. Somit sind HSP darauf aus, das Umfeld in Gleichklang und Harmonie zu bringen oder die eigene engste Familie vom großen Feld abzugrenzen. Ist das Umfeld zu chaotisch und nicht einzuschätzen, geraten Hochsensible unter Stress und entziehen sich der Situation. Gleich- klang bedeutet aufmerksam, zugewandt und friedlich. Ist das Gegenüber nichts von dem, versuchen sie durch Kreativität eine Lösung zu finden um diesen Zustand wiederherzustellen. Sie haben einen innerlichen Kompass für Leben und Sinnes-Antennen bis in den Kosmos hinein.

 

Die Gesellschaft braucht auch die Visionäre, HSP und Animisten, um alle Mittel und Wege, die es gibt zu finden, die Menschheit mit Zukunft zu versehen. Im Animismus liegt ein Stück weit eine humanistische Vision, die der westlichen urbanen Gesellschaft abhanden gekommen ist. Animismus enthält religiöse Elemente, logische, soziale, kosmisches in-Beziehung-sein und Empfindsamkeit.

Nun liegt es in der Hand der Menschen, ob sie einander gleichberechtigt wahrnehmen, anhören oder als primitiv unterdrücken und verlachen. Animismus ist komplex und in vielen Bereichen verständlich, aber auch individuell interpretierbar. Animismus ist intelligentes Verhalten, was die Erde nicht zerstört, was Lebewesen achtet, was nicht übermäßig Ressourcen verbraucht und Antworten auf philosophische Fragen hat die beruhigen, statt abhängig zu machen. Dadurch ist eine animistische Ontologie in der Lage an gegenwärtigen Problemlösungen mitzuwirken.

Animismus ist auch immer wieder ein Spiegel, der eigene Denkrahmen aufzeigt, aus denen die Wissenschaft nicht herauskommt und wenig mit Animismus zu tun hat, sondern viel mehr mit dem eingefahrenen, rationalen Denken.

 

 

Anmerkungen:

(1) Durch das allem innewohnende „inua“ oder „mana“ sind Animisten mit allem verbunden und können zu Dingen, Menschen und Tieren Kontakt aufnehmen, ihnen Seelenkraft abziehen oder zuweisen. 

 

 

Literaturliste:

  • Bergunder, Michael. 1995. „Widergeburt der Ahnen: eine religionsethnographische und religionsphänomenologische Untersuchung zur Reinkarnationsvorstellung“. Münster; Hamburg: Lit Verlag. S.19-342.
  • Bird-David, Nurit. 1999. „Animism revisited - Personhood, Environment, and Relational Epistemology“. Current Anthropology Volume 40, Supplement, February 1999 . S.67-89.
  • Heywood, Paolo. 2017. The Ontological turn. University Cambridge. Digitales Dokument. [http://www.anthroencyclopedia.com/printpdf/132]
  • Kardec, Allan. 1855. „Das Buch der Geister - Le Livre des Esprits“. Freiburg im Breis- gau: Verlag Hermann Bauer KG. S.9-41
  • Käser, Lothar. 2004. „Animismus – Einführung in seine begrifflichen Grundlagen“. Verlag Liebenzeller Mission. S. 1 - 368.
  • Levy-Bruhl, Lucien. 1922. „Die geistige Welt der Primitiven“. Düsseldorf-Köln: Eugen Diederichs Verlag. S. 1-85.
  • Montada, Leo. 2002. „Die geistige Entwicklung aus der Sicht Jean Piagets“. In: R. Oer- ter, Montada (Hrsg.): Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz-Verlag, Psychologie-Verlags-Union. 1207 Seiten.
  • Sahlins, Marshall. 2017. „The original political society“. Chicago: HAU- Journal of Ethnographic Theory. Digitales Dokument. [https://www.journals.uchicago. edu/doi/full/10.14318/hau7.2.014] Stand: 20.09.2018.
  • Stephan, Achim. 2000. „Leib-Seele-Problem“. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. Digitales Dokument. [https://www.spektrum.de/lexikon/neurowissen schaft/leib-seele-problem/6967] Stand: 16.09.2018.
  • Tylor, B. Edward. 1871. „Primitive culture: researches into the develpment of mythology, philosophy, religion, art and custon“. London: John Murray S. 377- 453.
  • Aron, Elaine. 2018. Highly Sensitivity. [https://hsperson.com/about-dr-elaine-aron/] Stand: 20.09.2018.