Gedanken über...

 

Pilgern in Tibet. Gang Rinpoché-Rundgang – Was befähigt die Tibeter jeden Alters dazu, den schwierigsten Pilgerpfad der Welt zu bewältigen? 2019

 


Lhasa. Zwischen Touristen mit Sonnenbrillen, bunten Rucksäcken und Fotoapparaten um den Hals, steht ein Mann im dunkelroten Gewand, vor Staub bereits ganz schwarz am ganzen Körper. Er trägt Turnschuhe, eine körperlange Lederschürze und Holzklötze an den Händen. Vor ihm prangt ein sechs Meter hoher Pfahl, geschmückt mit blau, weiß, rot, grün, gelben Gebetsfahnen. Plötzlich wirft er sich zu Boden, liegt drei Meter davor, bleibt still liegen, steht geübt wieder auf, um das Ganze ohne Anstrengung zu wiederholen. Bis zum Sonnenuntergang. Nicht weit davon entfernt, praktizieren weitere 30 Frauen sowie Männer auf Matten die gleiche Prozedur vor einer Hauswand, der Wand des Jokhang Kloster, einer der ältesten und bedeutendsten Heiligtümer Tibets. Kleine Grüppchen von Menschen jeden Alters gehen zwischen den Betenden hindurch die Straßen entlang. Es wäre nichts Ungewöhnliches, wenn sie nicht ebenso wie die sich Niederwerfenden etwas wiederholen würden. Diese Grüppchen pilgern. Sie umkreisen das Jokhang Kloster, schwingen dabei kleine Stäbe mit rundem Korpus und einer Kordel daran, die nie still zu stehen scheint. Bis zum Sonnenuntergang.

Tibeter haben ihre eigene spirituelle Welt, die sie dazu befähigt stundenlange Wiederholungen von Praktiken zu absolvieren. Ein Europäer stellt sich im Anblick dessen bald die Frage, wie machen sie das ohne aufzugeben? Im extremsten Fall besteigen Tantra praktizierende Tibeter den 6638m hohen Berg Mount Kailash im Westen Tibets, umkreisen ihn im Äußersten bis zu 108 mal. Was motiviert sie dermaßen und was befähigt sie dazu?

In der vorliegenden Arbeit werde ich genau dieser Frage nachgehen: Was befähigt die Tibeter jeden Alters dazu, den schwierigsten Pilgerpfad der Welt zu bewältigen?

Hierzu war es notwendig die Ursprünge Tibets zu recherchieren, die Bön-Religion vom Buddhismus zu unterscheiden, tibetischen Buddhismus und Tantrismus zu erläutern und einige Praxen des Pilgerns zu beschreiben um abschließend einen Rundgang um den heiligsten Berg, den Gang Rinpoché nachzuzeichnen. Ein Fazit fasst das Wichtigste zusammen und schließt diese Arbeit damit ab.

Einige besondere Worte sind in tibetischer Lautschrift aufgeführt, da ihre Bedeutung eine eigene ist und von deutscher Übersetzung zum Teil stark abweicht. 

 

 

Tibet
Der tibetische Kulturraum umfasst nicht nur Länder am Himalaya-Gebirge wie Tibet, Nepal und Bhutan, sondern auch die Mongolei, Skkim, sowie Teile Russlands und zentralasiatischer Länder, die an das politische Gebiet Tibet angrenzen. Seit 1951 ge- hört Tibet, völkerrechtlich umstritten, zum Verwaltungsbereich Chinas, mit Ausnahmen des historischen Tibets, dem Autonomen Gebiet Tibet mit der Hauptstadt Lhasa, sowie den zehn Autonomen Bezirken und zwei Autonome Kreise in den Provinzen Qinghau, Sichuan, Yunnan und Gansu.
Der 14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso ist gegenwärtig Staatsoberhaupt und religiöser Führer der Autonomen Region Tibet mit demokratisch gewählter Exil-Regierung in Indien. Nach Schätzungen leben heute im Hochland von Tibet 6 Millionen Tibeter und ca. 7,5 Millionen Han-Chinesen. Ungefähr 128.000 Tibeter leben im Exil. Tibetische Kultur wird zum Teil von chinesischer Politik verboten, mit Gefängnisaufenthalten bestraft und mehr und mehr verdrängt. Tibeter leben unter diesen Umständen in einer stark zusammenhaltenden Gemeinschaft, obwohl diese über die ganze Welt verteilt ist.

 

 

Tibets Ursprünge

Tibets historische Ursprünge verschwimmen mit buddhistischer Sagengeschichte. Ei- nem Bericht zufolge kam ein Inder als Frau verkleidet über die Gebirge ins Land. Als die ansässigen Menschen fragten, woher er kam, zeigte er auf die Gipfel des Himalaya. Sichtlich beeindruckt wurde er ihr neues Oberhaupt, als „der vom Himmel herab stieg“. Seine sechs Söhne wurden die neuen Könige des Landes.1

Ebenso gibt es die Erzählung, wie sich die wütende Wesenheit des Yarlung-Tals mit einem Affen paarte, der auf dem Berg Sodang Gangpo Ri in Yarlung, im Landkreis Nedong allein in einer Höhle lebte. Durch sein sanftes Gemüt und ihr temperament- volles Wesen brachten sie beide, in „der Wiege der tibetischen Zivilisation“ sechs Söhne hervor, die als die Vorfahren der Tibeter mit „zwiespältiger Natur“ gelten. Der älteste Sohn stieg an der Himmelsschnur herab, um auf den Schultern der zwölf lokalen Häuptlinge zum ersten König ernannt zu werden.2 

Erstes sichtbare Zeugnis tibetischer Geschichte im Yarlung-Tal ist das Grabmal des achten König, Drigum Tsenpo. Die sogenannte Yarlung-Dynastie gilt als die erste und älteste Tibets, deren Hauptstadt Lhasa am Tsangpo-Fluss sein sollte. Das Land dieser Könige wurde Pö genannt. Den Europäern und Arabern war es bekannt als Thibet. Die Bedeutungen könnten aus der schamanisch-animistischen Religion Bön abgeleitet sein, die bis dato in Tibet vorrangig war. Tibeter selbst, nannten ihr Land Kangchen, „das Schneeland“.3

 

 

Bön

Bön, die ursprüngliche religiöse Tradition Tibets, war der königlichen Elite vorbehalten und fungierte anfänglich als priesterliches Begleiten von Seelen ins Jenseits. Der König selbst wurde als Gott angesehen und so waren Geistliche ausschließlich Diener für metaphysische Prozesse. Auch für Seelenorakel, Weissagungen und Kommunikation mit den Lokalgottheiten waren Bon po, die Bön-Anhänger, ähnlich wie ein Scha- mane zuständig. Bon als „Wahrheit“ oder „Wirklichkeit der ewigen unveränderten Lehre“4, ähnelt dem Begriff der Buddhisten, dharma und wird oft als identische Glaubensrichtung wahrgenommen. Doch dem ist nicht so.
Traditionell praktizieren alle Tibeter zwar gewissenhaft die gleichen Methoden zur Besänftigung der Geister und Anhäufung ihrer Verdienste mit dem Ziel einer besseren Wiedergeburt, einen großen Unterschied aber, gibt es in der Bewegungsrichtung ihrer Vorstellung der Ewigkeit. Die buddhistische Version hält sich an den Uhrzeigersinn, während sich die der Bön gegen den Uhrzeigersinn, links herum dreht.
Auch die mythologischen Hintergründe der Gottheiten, ihre Eigenarten, Farben und spezifischen Gegenstände in den Abbildungen scheinen sich zu unterscheiden, was Bön zu einer eigenständigen Religion macht.
Bön-Rituale werden von tibetischen Buddhisten hoch geschätzt. Sie richten sich beispielsweise bei Reisen oder Zeremonien aus Sicherheitsgründen nach numerologischen Glückstagen der Bön. Denn ihre Wirklichkeit besteht aus einem metaphysisch-astronomen Zusammenleben aller Lebewesen, Geister und Dämonen dreier Welten: Die Welt der höchsten Geisterwesen,
steng lha (des Himmels und der Atmosphäre); der mittleren Welt, bar btsan (der Erde); und die Wesen der Unterwelten, klu naga (des Wassers, welche tief am Meeresgrund Schätze horten). Berge, Bäume, Steine, Felder, Himmelkörper und ganze Regionen werden von unzähligen Geistern mit Charakter und eigenem Willen bewohnt, beschützt und verwaltet. Ihre Zustimmungen bei Eindringen in ihr Gebiet, z.B. wegen des Ackerbaus, verlangen Opfer, Unterwerfungsrituale, Exorzismus und detailreiche Zeremonien, welche die Gesundheit und den Lebensmut der Menschen stark beeinflussen.5

Das Zentrum des Bön liegt in Zhangzhung mit dem 6638m hohen Berg Kailash, im Gangdise-Gebirge, dem westlichen Teil der Gebirgszüge des Transhimalaya im Auto- nomen Gebiet Tibet. „Der Seelenberg von Zhangzhung“ ist der Sitz der Gottheit der Region, welche die Menschen beschützt und ernährt. Der Krieger Tisé wohnt in diesem Berg wie ein König in seinem Palast, der durch die Fenster unbegrenzt Licht in den Raum lässt und Sonne, Mond und Sterne beleuchtet. Das ganze Universum ist in neun horizontale Stockwerke unterteilt, welche sich wie die Blätter der Lotusblume unter seinem Gipfel auffächern. Bewacht wird der Palast durch die Hüter der vier Tore der Himmelsrichtungen: einem Tiger, einer Schildkröte, einem roten Vogel und einem türkisfarbenen Drachen. Alles atmet den 360-Tage-Mondzyklus.6

Tazik, das heilige Land der Bön, weiter westlich des Kailash, hatte den König Tönpa Shenrap7 als erleuchtetes Wesen zum Oberhaupt. Seine Heldentaten sind die Ursprün- ge der reichen literarischen Bön-Reliquien und erinnern an Figuren wie Padmasambhava8 aus Oddiyana, so dass er ein Cousin des Siddhartha Gautama9 gewesen sein könnte. Ihr „Pfad der Tugend“ mit strengen Regeln und akademischem Lernen und Debattieren bildet Bon pos zu semi-göttlichen „Sehern“ aus. Die Lehrtexte, als der sogenannte Bon-Kanon bekannt, sind eine umfangreiche Sammlung von 190 Bänden, die spontane Inspiration erzeugen, geistige Texte sozusagen, welche das gesamte Spektrum tibetisch religiöser Kultur abdeckten.10 

 

 

Buddhismus

Im Zeitalter der Bön gehörte der Buddhismus außerhalb des Hochplateaus Tibet zur Normalität und wurde in etlichen religiösen Stätten und Tempeln praktiziert. Zudem florierte die buddhistische Kultur der Inder in neu gegründeten Klosteruniversitäten. Der erste buddhistische Text, in Sanskrit abgefasst, soll im Jahre 173 den Hof des 23sten Königs der Yarlung-Dynastie, Totori Nyentsen erreicht haben. Die Bedeutung unbekannt, wurde das Schriftstück zunächst geheim gehalten und mystifiziert, so dass der Inhalt erst 500 Jahre später bekannt wurde, als König Songtsen Gampo ihn entschlüsselte. Seine Frauen, die buddhistische Nepalesin Bhrkuti und die kultivierte Chinesin Wen Ch’eng beeinflussten des Königs Glaubensrichtung sehr, so dass sich ihre Denkrichtungen über den König ausbreiteten. Songtsen Gampo gilt als einer von drei religiösen Königen, die den Buddhismus in Tibet einführten, verankerten und kultivierten.11 12
Widerständen der Bön-Religion Vertreter entgegnete Songtsen Gampo mit buddhistischen Meistern, die befähigt waren den Unwillen der einheimischen Geister zu bändigen. Padmasambhava schaffte es mit Hilfe seiner magischen Fähigkeiten, alle Geisterdämonen zu unterwerfen und dem Buddhismus dienlich zu stimmen. Bestehende tief verwurzelte Riten der Bön wurden in die buddhistische Praxis eingegliedert, was der Form des tantrischen Buddhismus, dem Vajrayana sehr nah stand. Hierbei empfehlen Sutras (Lehrtexte) Praktiken und Zutaten, die das Individuum magisch in eine Verkörperung des Göttlichen verwandeln und zur Erleuchtung führen. Mudras (Handgesten), Mantras (Aussprüche) und Mandalas (Kreisdiagramme) verhelfen in diese tiefe transzendente Versenkung.13 

 

 

Tibetischer Buddhismus

Den tibetischen Buddhismus charakterisiert die Rolle des geistigen Lehrers, des Lama, ohne den der Mensch und die Lehre getrennte Wege gehen. Nur durch einen Lehrer kann ein Schüler Wort und tieferen Sinn in Zusammenhang bringen. 

Vier anfängliche Lehrmeister gründeten vier verschiedene Schulen und lehrten den tibetischen Buddhismus: Nyingmapa, Kagyu, Sakya und Kadampa.14 Alle vier basieren auf der Philosophie und dem moralischen Leitfaden des indischen Buddha Siddhartha Gautama, der das Überwinden des menschlichen Leidens durch Meditation und Enthaltungspraktiken zum Sinn seines Lebens machte und Erleuchtung, den Ausstieg aus dem ewigen Kreislauf des leidvollen Daseins erfuhr. Buddha legte seinen Schülern drei unterschiedliche Lehren dar, um ebenso die Buddhaschaft zu erfahren:

Hinayana, transzendiert das Leiden und verhilft das zyklische Dasein zu verlassen; Mahayana, führt durch Mitgefühl zum Pfad der Erleuchtung um dann leidenden Le- bewesen zu helfen; und Vajrayana, der schnelle Weg zur Erleuchtung, ist durch die schwierigen Tantra-Techniken, die Alchemie des Buddhismus, welche zu magischen Kräften führt.

Diese drei unterschiedlichen Lehren Buddhas, die drei Fahrzeuge werden, beginnend mit der Ausrichtung des Geistes für einen spirituellen Weg, dem Wachrufen des Erleuchtungsbewusstseins, die Stufen der Buddhaschaft, die sechs Vollkommenheiten, sowie den Pfad des Tantra, in jeder der vier Schulen der Meister auf ihre Art vermittelt. Die indischen Schulen, Schule-der-großen-Darlegung, Sutra-Schule, Nur-Geist- Schule und Schule-des-mittleren-Weges, wurden in den tibetischen Buddhismus integriert, genau so wie Bön-rituellen Praktiken.15

Prinzipiell ist der Tibetische Buddhismus die indische Lehre des Vajrayana-Buddhismus mit Ritualen der Bön-Religion und tantrischer Meditationspraxis. 

 

 

Tantra

Tantras, rgyud, sind ebenso wie Sutras, Lehrtexte mit umfangreicher Kommentarliteratur und bebilderten Unterweisungen. Die Ursprünge des Tantra sind unbekannt. Es wird behauptet, sie stammen von Siddhartha Gautama persönlich. Fest steht: im 9. Jahrhundert, als Tibet das erste mal davon erfuhr, existierte Tantrismus bereits in Indien.
Beim Tantra-Yoga steht hohe Konzentrationsfähigkeit und großes Mitgefühl im Fokus. Die Energie der irdischen Begierden wird so mit der Lehre des Buddhas ver
knüpft, dass es den Praktizierenden gelingt, durch sie Glückseligkeit zu verwirklichen.16

Bei den Yoga-Praktiken des Tantra wie Gottheiten-Yoga oder Guru-Yoga konzentrieren sich die Praktizierenden auf ihr inneres Potenzial zur Erleuchtung und stellen sich selbst als Buddha, Bodhisattva und erleuchtete Wesenheiten vor. Sie identifizieren sich anhand der Sadhana-Technik mit einer Gottheit (Körperform, verbalem Ausdruck und mentalem Zustand), um den Erleuchtungszustand zu ihren Lebzeiten zu erfahren. Ein Schüler der eine Einweihung in Gottheit-Yoga erhält, wird zu Beginn über die Grundsätze des Buddhismus unterrichtet und erfährt die Einsicht, dass sein Ego nicht existiert und sein Wille nach höchstem ethischen Potenzial strebt und befähigt sein will, im Namen der Gottheit, welche visualisiert wird zu handeln. Nur ein hoher Lama kann die Ermächtigung in alltäglicher Zeremonie oder als Teil einer längeren rituellen öffentlichen Aufführung durchführen. Texte der Einweihung werden oft verschlüsselt um die Geheimhaltung der Anleitung zu gewährleisten.17

In Meditation visualisiert sich der Praktizierende als ein Gefäß der Leerheit. Im Raum schwebend, befindet sich eine Lotusblüte aus vielerlei Edelsteinen mit hunderttausenden geöffneten Blütenblättern. Sie ruht auf einer Mondscheibe, auf der sich sitzend, die Gestalt des Göttlichen abzeichnet. Nach und nach zeigt sich deutlich die Mimik im Gesicht, seine Augen, die Beschaffenheit seiner Haut, die Gesten seiner Hände, auch alle Utensilien tauchen auf. Die Gottheit sitzt da, strahlend in unvergleichlichem Mitgefühl. Alle Buddhas und Bodhisattvas sind in speziellen Kernsilben kodiert, welche der Praktizierende wiederholt. Bewegt durch die Aufrichtigkeit des identischen Einschwingens antworten die Gottheiten mit flüssigen Lichtstrahlen, die in den Kopf der Praktizierenden eindringen wie Wasser, das in Wasser gegossen wird. Jede Verwirrung und schlechtes Karma zerstreuen sich und der Praktizierende verwandelt sich zur Göttlichkeit. Diese versucht er mit der Konzentration auf die Klänge und auf die visualisierten Bilder aufrechtzuerhalten und darin zu verweilen. Durch das Schütteln einer Schädeltrommel sollen alle Wesen des Universums aus dem Schlaf geweckt werden und unter leuchtenden Lichtern des Regenbogens eine derartige Präsenz aus- strahlen, welche alle anderen Gedanken verstummen lassen. Die gesungenen Mantras sollen Raum und Zeit zur Unendlichkeit verschmelzen. Am Ende der Mantra-Wiederholung bemüht sich der Meditierende alle Vorstellungen wieder aufzuheben.18 19

 

 

Pilgern

Das deutsche Wort „pilgern“ ist eine Entlehnung des lateinischen Wortes, „peregrinus“ und bedeutet „fremd“. Es beschreibt seit dem 8. Jahrhundert einen „fremden Mönch, der als Gast in ein Kloster kommt“20. Tibeter drücken „pilgern“ als „nékor“ und „néjel“ aus und kann als „um ein Né herum gehen“ und „Né treffen“ übersetzt werden. Né bedeutet „Sitz der Götter“. Ein Wanderer also, der seine Reise erfolgreich durchgeführt hat, ist „einer, der eine heilige Stätte umrundet hat“.21
Die ersten dokumentierten buddhistischen Pilgerreisen wurden von gläubigen Menschen unternommen, deren Ziel die Begegnung indischer Heiliger war. Diese Praktizierenden zogen andere wiederum an. Mehr und mehr galt das Pilgern nicht mehr al- lein der Begegnung des Heiligen sondern dem Austausch des Besonderen. Steine wurden als Kraftquelle aus dem Pilgerort mitgenommen oder Talismane als ein Teil des Eigenen vor Ort hinterlassen, Nahrungsmittel wurden Opfergaben und Kräuter als Wundermittel gesammelt. Auch bedeutete es, soziale Beziehungen zu knüpfen, Handel zu betreiben, innere Reinigung zu vollziehen und Gutes für die Vitalität zu tun.
Das Pilgern der Tantra-Praktizierenden hat ausschließlich soteriologische Hintergründe. Jeder buddhistische Mensch sucht nach Erlösung und Reinheit. Denn bei allen Handlungen entsteht Karma
, für das das Kausalitätsprinzip gilt. Schlechtes Karma erzeugt „Befleckungen“, drib, gutes Karma Glück, lungta, und Ehre, uphang. „Befleckungen“ können durch Verdienste, sönam, abgearbeitet werden, um zu reinem Geist, gesundem Körper und ethisch-vorbildlichem Verhalten zu gelangen. Rituale, wie das Pilgern können Verdienste anhäufen, bestimmte Bedenken, komplexe soziale Anliegen oder Wünsche transformieren, um bei nächster Wiedergeburt auf höherer Ebene des „Daseins“, samsara, zu leben. Den ewigen Zyklus der Wiedergeburten verlässt ein Lebewesen nur durch die Erleuchtung, dem Erlöschen, nirwana.22 

Pilgerreisen symbolisieren auch das „Rad der Zeit“, den ewigen Kreislauf des Lebens, welcher Grund für alles Leiden ist. Wenn ein Pilger einen schier endlos erscheinenden Weg bezwungen, alle körperlichen und seelischen Leiden überstanden hat, erreicht ihn die Glückseligkeit, im symbolischen Sinne die Erleuchtung oder der erneute Rundgang im Kreislauf. Besondere Umrundungen werden in heiligen Texten erwähnt. Mit heiligen Felsbrocken, Gebäuden, Altaren, Mandalas und heiligen Objekten aller Art „gleich zu schwingen“ fördert nicht nur das Né, sondern teilt auch das eigene Leid. Prostration, phyag tshal, ist ebenso untrennbares Element des Pilgerns und in allen Schichten der tibetischen Gesellschaft zu finden. Besonders vor Abbildern religiöser Symbole wird sich vor ihnen niedergeworfen. Ganze Wegstrecken legen Tibeter jeden Alters zurück, in dem sie aus dem Stehen, die Hände, vor dem Brustkorb edelsteinhaltend gefaltet, über den Kopf heben, um dann Scheitel, (Stirn), Kehle und Herz mit den Fingerspitzen zu berühren. Praktizierende äußern dabei den Wunsch, den Körper eines Buddhas zu erlangen, die Rede des Buddhas zu beherrschen und den Geist des Buddhas wohlwollend verwirklichen zu wollen. Die Geisteshaltung ist das wichtigste bei dieser Übung, welche zum Ziel hat, negatives körperliches Karma durch die Überwindung von Überheblichkeit durch körperliche Erniedrigung abzubauen. Bei der „partiellen Prostration“ berührt man zusätzlich den Boden mit den Knien, Stirn und Händen, die „volle Prostration“ bedarf eines körperlangen Ausstreckens auf dem Boden.23 24

Das Pilgern in Tibet ist Teil eines umfangreichen Netzes buddhistischer und vorbuddhistischer Techniken zur Verbesserung der Lebensqualität, welche als Weltanschauung verstanden werden muss. Das ständige Drehen der Gebetsmühlen, das andauernde Mantra „Om mani padme hum“ („Oh, du Juwel der Lotusblume.“), das Schwingen von Knochentrommeln, das Berühren von Felsvertiefungen und Mulden, das Aufhängen der Gebetsfahnen, Handglocken läuten, Rauchopfer zünden, das Yakbutter und Mani-Steine hinterlassen, Zeremonien in den Pilgerzentren abhalten und Opfergaben zurücklassen sind beispielsweise sichtbares Zeichen in jeder Ortschaft. 

 

 

Tibetische Pilgerzentren

Tibets Pilgerwege erstrecken sich in jede Himmelsrichtung über das ganze Land hin- weg. Heilige Plätze, religiöse Feste, Feiertage und öffentliche Einweihungen lassen regelmäßig tausende Pilger aufbrechen, um Tage aber auch Monate lang unterwegs zu sein. Das Kalendersystem Tibets hat Pilgerzyklen integriert. Das „Pferdejahr“ soll das günstigste und „am 15. des 4. Monats“ der wichtigste Tag für solch eine Reise sein. Das Saga-Dawa-Fest eröffnet die Pilgersaison mit einem Weissagungsritual.

Ebenso sind die historischen Erzählungen auf die Routen bezogen, welche Tibets Narrative stabilisiert und Identität schafft. Lhasa ist Zentrum des nationalen Bewusstseins und tagtäglich Ort der Umrundungspraktik. Lapchi, Kailash und Tsari bilden ein be- kanntes Trio heiliger Berge. Die Geburtsstätte Buddhas, Lumbini in Nepal und das Yarlung-Tal sind ebenso beliebte Pilgerziele.25 

 

 

Kailash

Eines der größten Pilgerzentren in Tibet ist der 6638m hohe Kailash, im äußeren Wes- ten des Transhimalaya im Autonomen Gebiet Tibet. Vier wichtige Flüsse der süd- und südostasiatischen Welt haben hier ihren Ursprung: der Indus, Tsangpo, Satluj und der Karnali. Der Kailash ist der „heiligste Berg der Erde“, denn vier Religionen nennen ihn ihr Heiligtum: Bön, Buddhismus, Hinduismus und Jainaismus. Ihren Mythen nach ist hier die „axis mundi“, der Mittelpunkt der Erde und die Geburtsstätte der Gebirge und Kontinente aus dem Innern der Erde.
Die heilige Stätte ist zu betreten durch ein hunderte Kilometer großes Mandala, welches sich in perfekter Symmetrie der zwei Seen Manasarovar und Rakshastal, mit weiß leuchtenden Schneejuwel, im Zentrum offenbart. Der „Kristallgipfel
, tibetisch Gang Rinpoché, ist eines der Wahrzeichen Tibets und in rituelle Praktiken fest verankert. Im Buddhismus sagt man, wer ihn einmal umkreist, wird von seinen Sünden befreit, zwölf Umrundungen befreit von den Sünden auch aus allen vorigen Leben und wer ihn 108-mal umkreist, ist sich des Nirwanas sicher. So nimmt das Göttliche hier irdische Formen an, Raum ist ausschließlich für das Wesentliche vorhanden. Die wüstenhaft steinige Natur lässt keine ortgebundene Landwirtschaft über 4000 Höhenmetern zu. Hier herrscht Natur in purster Form.26

Es ist ebenso von der schwierigsten Pilgerstrecke der Welt die Rede, denn die 53km- Pilgerroute verläuft in einer Höhe von 4600m bis 5700m. Gefahren sind neben steilen Abhängen, vereisten Stellen und Wetterumschwüngen, Gerölllawinen, der Mangel an Brennholz, um die nächtliche Kälte zu überstehen, vor allem die Höhenkrankheit, an der 2007 sogar 15 Menschen auf der Route starben.27 

Ein Gang Rinpoché-Rundgang beginnt gewöhnlich in dem Dorf Darchen, was zu- nächst die einzig dauerhafte Menschensiedlung der Region darstellt, wenn das Pilgern nicht schon im Landesinneren aller Teile Tibets, wie in Lhasa, der Hauptstadt begonnen wurde. Darchen ist wichtige Schaf- und Yak-Station für Nomaden und zum Saga-Dawa-Fest schon mal mit Hunderten von Pilgern bevölkert. Hier treffen jährlich 25.000 internationale und nationale Pilger zum Start einer Umrundung, kora, ein.28 Vier Tempel wurden an den Eckpunkten des Kailash-Mandala errichtet, vier Niederwerfungsstellen, phyag tshal sgang, die die vier Himmelsrichtungen anzeigen, um die drei Wege zu finden, welche um den Berg herum führen. Ein äußerer, ein innerer und ein geheimer. Welchem Pfad man folgt, deutet auf den Fortschritt hin, welchen ein Pilger spirituell buddhistisch erreicht hat. Der äußere, phyi skor, ist der längste und für gewöhnliche Menschen; der mittlere, bar skor, ist für die Daka und Dakini29; der inne- re Weg, nang skor, ist für die Würdigen, die fünfhundert Arhat30, die Erleuchteten. Bön-Anhänger gehen gegen den Uhrzeigersinn um den Berg herum, Buddhisten wer- den sich mit dem Uhrzeigersinn auf den Weg machen. 

Aus buddhistischer Sicht sind die territorialen Gottheiten, yulh ha, zwar durch Milarepa31 unterworfen, erfüllen aber immer noch eine herausragende Funktion. Alle Pilger, die sich yulh ha nähern, erbitten eine Erlaubnis, um eine Umrundung durchzuführen und sich seinem Schutz sicher zu sein.32

Alle Berge und alle größeren Felsen der Umgebung tragen Namen buddhistischer Gottheiten oder Bön-Gottheiten, die dem Buddhismus unterworfen sind. Natürlich geformte schattige Profile der Gesichter erscheinen auf den steinigen Leinwänden, das leise Rauschen der Flüsse wird zum Flüstern der Berge. Wilde Felsformationen sind Beweise für die andauernde Kraft der Gurus, die hier Fuß- und Handabdrücke den höheren Mächten entgegenstreckten. Ungewöhnliche Ereignisse, wie die Überflutung von Ufern, das Verfärben der Gesteine oder das Auftauchen wilder Tiere, wird der mythischen Vergangenheit mit ihren aktiv-herrschenden Autoritäten zugeschrieben und verdeutlicht, mit welch starker Vorstellungskraft und Assoziationskultur Tibets Landschaft im doppelten Sinn zum Leben erwacht.33

Sehr beliebt sind die Pilgerführer („Pilgrimage Guidebooks“), welche nicht nur die Geschichte Tibets anhand der vorbeiziehenden Landschaften erzählen, sondern ebenso eine Initiation zur spontanen Befreiung durch Sehen und Verringerung von „Befleckungen“ bedeuten. Die Inhalte der tantrischen sadhana werden in Stupas und Meditationsstätten laut vorgelesen um jedem, selbst Analphabeten den Zugang zu spirituellem Gemeingut zu ermöglichen. 

 

 

Gang Rinpoché- Rundgang

 

Herrlicher Chakrasamvara und Gemahl der großen Mutter Tantra, Vajravarahi,

öffne mir den Raum, der drei Zeiten, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft;
den Raum der heiligen Buddhas, welche die Unwissenheit und Emotionalität überwinden konnten;

zeig mir die Lebewesen der drei Bereiche, Himmel, Erde, Wasser, welche Begierde zur Buddhaschaft verwandelten!

Ich preise die Fähigkeiten des Siddhartha und Padmasambhava, Milarepa und alle Meister früherer Geschichte.
Ich preise die Erleuchtung, die Vollendung, das Nirvana
mit all seinen unzähligen friedlichen und zornigen Wesen.
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Zur Einstimmung wird der Berg als Altarraum visualisiert, einschließlich des gesamten Pantheons von Lehrern, Meistern, Gottheiten und Beschützern, an die der Praktizierende seine Ehrfurcht richtet und Eintritt erbittet.
Darchen verlässt den Horizont und ein hoher Fahnenmast mit unzähligen Gebetsfahnen geschmückt, zeigt die erste Station der Umrundung, den Ein- oder Ausgang der
kora. Die Pilger durchtauchen dieses Meer an Fahnen, als wäre es der Weg durch den bardo, der 48 Tage lange Zwischenbereich von Tod und Wiedergeburt. Aufgehäufte Mani-Steine rezitieren still und beständig das „Om mani padme hum“. Durchschreitet man eine schmale zweibeinige Stupa, öffnet sich eine andere als die alltägliche Wirklichkeit.

Vor einem thront die „Festung“ des großen Amitayus oder Amitabhas, Buddha der Langlebigkeit und seine Gefolgschaft, die, fällt hier Regen, Wasser klar wie Kristalle hervorbringt, welche alle Hindernisse beseitigt. Es wäre hier angebracht das Amitayus- Sutra der Langlebigkeit zum Wohle aller Lebewesen zu rezitieren. Auch vorteilhaft ist, falls man krank ist, hier darum zu bitten, im reinen Land des Amitayus wiedergeboren zu werden.

Vorbei an den Rückzugsorten der Bri gung-Yogis, Nag po und Ghu ya pa kommt der Pilger an „Buddhas Thron" vorbei. Buddha Sakyamuni rezitierte an dieser Stelle das Lankavatara-Sutra. Seine Fußspuren und die, der 500 Arhats im Felsen bezeugen dieses Ereignis.

Ein Rauschen des „Tal des Götterflusses“ weist den weiteren Weg durch die himmelhohe Gebirgsenge und führt mit stetigem Anstieg östlich am Schneejuwel vorbei. Hier leben die Bodhisattvas Manjusri, Avalokitesvara und Vajrapani.
Im Westen davon gibt es Bilder der acht Aspekte des Gurus Padmasambhava. Über ihnen sieht man die fünf Buddhas Vairocana, Aksobhya, Ratnasambhava, Amitabha und Amoghasiddii, die „Eroberer der fünf Familien“.

Auf einem stupaähnlichen Felsen befindet sich, ein natürlich manifestiertes Bild der Göttin Usnisavijaya und weiter südlich ein Abbild des Gurus Dorje Trolo in grauenvoller Form des Padmasambhava, der auf einem Tiger reitet. Auf diesem Berg wohnen auch Hayagriva und Vajravarahi im Geschlechtsakt vereint. Wenn man sich Kinder wünscht, kann die Visualisierung ihrer Präsenzen Störungen im Herzen durch Mitgefühl beseitigen. Ebenso kann man sich in tantrischer Tradition als ihre Kinder visualisieren und väter- oder mütterlichen Schutz erbitten.

Eine besondere Ruine und Steinformation, „der Prüfstein der Sünde“ weist viele Gänge auf. Wer sie finden kann, sollte sich hindurch zwängen um sich der eigenen „Befleckungen“ bewusst zu werden. Bleibt man stecken, hat man viel Karma angehäuft. Wer ohne Probleme hindurch passt, kann sich dem Ankommen sicher sein. Findlinge auf dieser Strecke, besitzen viel Né. Pilger umkreisen auch sie und verneigen sich tief. Der Kopf berührt den Rumpf des Steins und verhilft dem Geist zur Klarheit.

Im Norden angekommen, auf der rechten Seite, in der Felsenfestung, die wie ein verzierter Opferkuchen, torma aussieht, wohnt der zornige Guru Kilaya mit seinem Gefolge. Hier lässt sich gut ein ritualisiertes Essen abhalten und torma für die Tiere aus- legen, sowie das Vajrakilikilaya-Mantra wiederholen um den lokalen Gottheiten zu danken, dass niemand Hunger leidet.

Auf der linken Seite, des Felsens tanzt die löwenköpfige Simhavaktra-Dakini auf ei- nem Haufen von Leichen. Diese Himmelsbotin symbolisiert Macht, Hindernisse bei der Erleuchtung wie Lust, Zorn oder Unwissenheit. Sie ist die Helferin bei der Suche nach verborgenen Inhalten der Sutras. Der schwer sichtbare Pfad, nordwestlich des Gang Rinpoché, führt zum „Bade der Dakini“, zu einem kleinen totenkopfförmigen See. Sein Schmelzwasser am Jahresanfang ist das Zeichen dafür, dass die Dakini anwesend sind.

Weiter prangt hier sichtbar die felsige Festung des Herrschers des reinen Bewusstseins, Mahakala. Hier, bereits auf 5000 Höhenmetern ereignet sich die Erleuchtung und das Ablegen des Egos, des rotierenden Geistes in seiner Verhaftung am irdischen Leben. Ich-Haftigkeit zerfällt, wie das Meer an Kleidungsstücken, persönlichen Gegenständen und Gebetsfahnen, welche man hier zurücklässt. Der weiße, grüne, gelbe, rote und schwarze Jambhala wartet bereits, um negatives Karma, Krankheit, Befleckungen gänzlich auszulöschen und bei Anrufung Helfer und Beschützer zu sein. Unter dem schwarzen Jambhala, befindet sich „der Hüter des Nordens“, der gelbe Vaishravana, der auf einem Pferd reitet. Er und die anderen drei himmlischen Könige der Himmelsrichtungen beherrschen alle Reichtümer. Wer Reichtum verdient wird hier ausgiebig beschenkt.

Die Landschaft wird an diesem Punkt als atemberaubend beschrieben, denn man blickt sehr oft bei strahlendem Sonnenschein ins Panorama des Himalaya Gebirges, dass man bereits den dritten Tag zu Fuß oder drei bis fünf Wochen in regelmäßiger Prostration bezwungen hat. 

Einige haben ganz sicher schon vorher den Rückweg wegen Fieber, Durchfall, Schwindel, Fußverletzungen, Stürzen oder Ähnlichem antreten müssen. Wer am Pass Dölma La, Sitz der 21 Taras aber angekommen ist, erreicht Glückseligkeit. Dank der Götter. „Lha Gya-lo!“ („Die Götter werden siegen!“).

Weiße Leinentücher und bunte Gebetsfahnen werden an die Chörten gebunden, welche den Aus- oder Eingangstor der kora kennzeichnen. Hier ist der höchste begehbare Punkt des GangRinpoché mit 5653 Höhenmetern. Von diesem Pass absteigend, führt ein steiler Pfad wieder hinaus aus der Stille dieser hoch gelegenen Region, vorbei an polternen Flüssen, östlich am Gipfel entlang.

Nicht weit von hier, befindet sich Zuthrul Phug, die „große Höhle am Pass“ und Stelle der großen Wundertaten des Milarepa. Seine Hand-, Fuß- und Kopfabdrücke sieht man dort eindrucksvoll. Diese zu berühren, stärkt die magischen Fähigkeiten des Tantra- Praktizierenden. Der hier anzutreffende sprudelnde Fluss, ist das Zeichen für Milarepas erfolgreiche Meditation und nennt sich „Wasser der Vollendung des ehrwürdigen Milarepa“. Er verwandelt das winterliche Land in einen frühlingshaften, fruchtbaren Blumengarten mit vielen Heilkräutern.

Vorbei an der Meditationshöhle des berühmten Drukchen Pemakarpo und der Höhle des angesehenen Gtsang Smyon Heruka empfängt einen erneut die Zivilisation von Darchen und der Rundgang um den heiligsten Berg der Erde ist ausgeführt.35 36 

 

Was Tibeter befähigt, diesen schwierigen Pilgerpfad zu bewerkstelligen, ist nach ihnen wohl ganz einfach zu beantworten: Sie sind die Nachkommen derer, die vom Himmel herabstiegen. Tibeter leben im „Schneeland“, im Land ihrer Götter und ihrer Seele. Sie wissen die hohen, eisigen Gipfel der Berge zu bändigen. Sei es durch Milarepas und Padmasambhavas Magie oder dadurch, dass Tibeter die Lokalgottheiten mit Hilfe der Bön Po beeinflussen und genau die Glückstage orakeln, welche jemand für das Gipfelbesteigen benötigt. Ihre Fähigkeiten sind ganz sicher nicht zu unterschätzen und ebenso wenig die Zustimmung der Götter, die sie unterstützen.

Auch kann es daran liegen, dass sich Buddhisten, besser noch Tantriker mit den richtigen Praktiken in genau dieses Göttliche verwandeln können und so in eigenem Palast wandeln. Eine Art Trance befähigt den Menschen nicht nur in der Hypnose zu Außergewöhnlichem. Tantra praktizierende Pilger können ebenso auf die Antworten eines einfühlsamen Lama zurückgreifen, was sie ganz sicher dazu befähigt einen tieferen Sinn im Pilgern zu sehen und weiter gehen zu können als nicht buddhistischer Pilgerer. Ihnen ist Buddha ein Vorbild in dem Überwinden des Leidens. Gerade auf einem Weg wie um den Gang Rinpoché herum, kann perfekt überprüft werden, wie viel Fort- schritt sich bereits „im echten Leben“ niederschlägt. Diese Beweise sind wichtig für Buddhisten und ihre Ausrichtung des Geistes auf das tugendhafte Sein Buddhas. Jeder versteht und sieht die erlangten Fähigkeiten, wenn ein geübter Buddhist, ein bis drei Tage, für eine Umrundung des Gang Rinpoché braucht und der Laie, drei bis fünf Monate. Buddhas und Boddhisatvas des Vajrayana sind befähigt, die Umrundung schneller auszuführen, weil es ihnen gelingt, irdische Begierden und Bedürfnisse zu kontrollieren, Leid auszuhalten und sich aus dem Inneren heraus zu motivieren, mit dem Ziel Erleuchtung zu erlangen. Sie besitzen die körperliche Fitness und die Kenntnisse über alle Wesen des Universums mit ihren Eigenschaften und Symbolen, die sie ausreichend in Geschichten an den Felswänden wiedergespiegelt sehen. Sie können Körper und Geist beruhigen, ja, sich sogar auf dem Weg an der kargen Natur mit lebhaftem Schauspiel erfreuen.
Weil Tibeter auf ein lebenslanges Training sprachlich-narrativer, geistig-mentaler und körperlicher Ebene zurückblicken können, sind sie bestens vorbereitet. Sie schaffen es, dauerhaft eine positive Lebenseinstellung zu kultivieren, was sie augenscheinlich mühelos befähigt, das leidvolle Leben oder den schwierigsten Pilgerpfad der Welt, die Umrundung des Gang Rinpoché durchzuführen. 

 

 

Anmerkungen

 

1 Powers, John. „Religion und Kultur Tibets - Das geistige Erbe des buddhistischen Landes“. S.98-99.

2 Dowman, Keith. „The power-places of Central Tibet: the pilgrim’s guide“. S.14-15.

3 Vgl. Powers. S.95.

4 Kvaerne, Per. „Bon-Religion – Ein Überblick“. S.135.

5 Vgl. Powers. S.341-345.
6 Loseries-Leick, Andrea. „On the Sacredness of Mount Kailasa in the Indian and Tibetan Sources“. S.158-159.
7 Wikipedia: Shenrab Miwoche soll 1856 v.Chr. gelebt haben und gilt als mythischer Meister und Grün- dungsvater des Ewigen Bön.
8 Wikipedia: Padmasambhava, Magier und indischer Guru Rinpoche, Begründer des Buddhismus in Tibet in der Zeit 756 n. Chr.-796 n. Chr.
9 Wikipedia: Buddha Siddhartha Gautama, 563 v. Chr.- 483 v. Chr.

10 Vgl. Kvaerne. S.138-145.

11 Vgl. Dowman. S.15-17.
12 Vgl. Powers. S.102-103.

13 Golzio, Karl-Heinz. „Was ist tibetisch am tibetischen Buddhismus“. S.80-83.

14 Vgl. Dowman. S.26-32.

15 Vgl. Powers. S.247-250. 

16 Vgl. Powers. S.175-181.

17 Kohn, Richard J. „A Rite of Empowerment“. S.225-226.

18 Rinpoche, Patrul. „Die Worte meines vollendeten Lehrers“. S.394-398.
19 Gyatso, Janet. „An Avalokitesvara Sadhana“. S.266-268.
20 pilgern, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://dwds.de/wb/ pilgern>. Stand: 28.08.2019.
21 Huber, Toni. „The Cult of Pure Crystal Mountain: Popular Pilgrimage and Visionary Landscape in Southeast Tibet“. S.13-14.

22 Vgl. Huber. S.10-11.

23 Buffetrille, Katia. „Reflections on Pilgrimage to Sacred Mountains, Lakes and Caves“. S.21-24.

24 Vgl. Powers. S.204-206.

25 Vgl. Buffetrille. S.26-27.

26 Albus, Michael. „Eine Reise zum heiligen Berg Kailash“. 41:00 min.

27 DPA. „Tod auf dem Pilgerweg – Deutscher stirbt in Tibet“. 08.10.2007.
28 Kosick, Ingo. „Mount Kailash“. Stand: 29.08.2019.
29 Wikipedia: Daka und Dakini, sind tantrische Geistwesen, die Seelen der Toten in den Himmel bringen, Ermutigung und Inspiration repräsentieren, wie auch einen spirituellen Fortschritt präsentieren.
30 Wikipedia: Arhat, ist ein praktizierender Buddhist, der Gier und Hass vollständig abgelegt hat und nicht mehr wiedergeboren wird.
31 Wikipedia: Jetsün Milarepa, 1052-1135, war ein tantrischer Meister und Begründer der Kagyü- Schulen des tibetischen Buddhismus. Er gilt als der größte Yogi und Asket Tibets, weil er den Berg- Gott Tisé bezwang.

32 Vgl. Buffetrille. S.32-34.

33 Kapstein, Matthew. „The guide to the Crystal Peak“. S.106-107.

34 Vgl. Kapstein. S.105-106.

35 Vgl. Kapstein. S.106-119.

36 Vgl. Loseries-Leick. S.157. 

 

 

Quellen

  • Albus, Michael. „Eine Reise zum heiligen Berg Kailash“. Aus: Wohnung der Götter 2(9). ZDF/Phoenix. 1997-2006. Bonn. 41:00 min. <https://www.youtube.com /watch?v=GKTRXP55D_c>. Stand: 31.08.2019.
  • Buffetrille, Katia. „Reflections on Pilgrimage to Sacred Mountains, Lakes and Caves“. In: McKay, Alex. (Hg.) Pilgrimage in Tibet. Curzon Press. 1998. Richmond. S18- 34.
  • Dowman, Keith. „The power-places of Central Tibet: the pilgrim’s guide“. Routledge & Kegan Paul. 1988. London. S.1-37.
  • DPA, „Tod auf dem Pilgerweg – Deutscher stirbt in Tibet“. n-tv panorama. 08.10.2007. <https://www.n-tv.de/panorama/Deutscher-stirbt-in-Tibet-article 235671.html>. Stand: 04.09.2019.
  • DWDS, Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://dwds.de/wb/ pilgern>. Stand: 28.08.2019.
  • Golzio, Karl-Heinz. „Was ist tibetisch am tibetischen Buddhismus“. In: Köpke, Wulf. (Hg). Die Welt des tibetischen Buddhismus. Museum für Völkerkunde. 2005. Hamburg. S.79-98.
  • Gyatso, Janet. „An Avalokitesvara Sadhana“. In: Lopez, Donald. In: (Hg.). Religions of Tibet in practice. Princeton University. 1997. New Jersey. S.266-270.
  • Huber, Toni. „The Cult of Pure Crystal Mountain: Popular Pilgrimage and Visionary Landscape in Southeast Tibet.“ Oxford University Press. 1999. New York. S.1-219.
  • Kapstein, Matthew. „The Guide to the Crystal Peak“. In: Lopez, Donald. (Hg.). Religions of Tibet in practice. Princeton University. 1997. New Jersey. S.103-119.
  • Kohn, Richard J. „A Rite of Empowerment“. In: Lopez, Donald. (Hg.). Religions of Tibet in practice. Princeton University. 1997. New Jersey. S.225-233.
  • Kosick, Ingo. „Mount Kailash“. Für soziales Leben e.V. 2019. Lüdinghausen. <http://www.jakobs-weg.org/pilgerweg/mount-kailash.html>. Stand: 29.08. 2019.
  • Kvaerne, Per. „Bon-Religion – Ein Überblick“. In: Köpke, Wulf. (Hg). Die Welt des tibetischen Buddhismus. Museum für Völkerkunde. 2005. Hamburg. S.133- 145.
  • Loseries-Leick, Andrea. „On the Sacredness of Mount Kailasa in the Indian and Tibetan Sources“. In: McKay, Alex. (Hg.) Pilgrimage in Tibet. Curzon Press. 1998. Richmond. S. 143-164.
  • Powers, John. „Religion und Kultur Tibets - Das geistige Erbe des buddhistischen Landes“. Otto Wilhelm Barth Verlag. 1998. Bern. 357 Seiten.
  • Rinpoche, Patrul. „Die Worte meines vollendeten Lehrers“. Arbor Verlag. 2016. Freiamt. S.389-433.